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Eine Sudleseübung:

Wer will mehr Demokratie?

Initiatoren, Politologen und Journalisten rätseln über den „Misserfolg“ des Demokratievolksbegehrens. Erstere erklären ihn mit der Resignation der Bevölkerung, die ja im vorhinein weiß, dass der in einer kurzen parlamentarischen Debatte, bei der kaum ein Abgeordneter im Plenum sitzt, bestehende „Erfolg“ den Aufwand des Unterschreibens auf dem Gemeindeamt nicht lohnt.

Vielleicht ist an dieser Voggenhuber’schen Auslegung etwas dran. Es ist ja tatsächlich eine Zumutung, jemanden zu einer anscheinend sinnlosen Aktion zu überreden. Nur sich gegen ihre Bevormundung auflehnende, aufmüpfige Leute leisten da ihre Unterschrift. Es ist aber doch auch interessant zu verfolgen, wie sich viele Politiker(innen) darin einig waren, dieses Volksbegehren nach Tunlichkeit in einen Mantel des Schweigens zu hüllen und darüber hinaus so zu tun, als sei das Ganze nicht notwendig, weil die Regierungsparteien ohnedies... und überdies viel wirksamer und besser und überhaupt...

Sirenenklänge

Es ist ja erstaunlich, wie ehemalige Großparteien wie SPÖ oder ÖVP urplötzlich dahinterkommen, dass ohne Bürgerbeteiligung nichts geht, dass sie die ÖVP sogar, man höre und staune, zur Koalitionsbedingung für eine Koalition (natürlich nach den Wahlen) macht, und die SPÖ ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit nichts anderes darauf zu antworten weiß als „das haben wir doch schon längst so gewollt!“

Den Grünen bleibt bei so viel Unverfrorenheit die Spucke weg. Da werden sie links und rechts gleichzeitig überholt, just bin einem Augenblick, in dem sie von ihrer Forderung nach unbedingter Bürgerbeteiligung in ein fragwürdiges Relativieren und Herumeiern mit „zulässigen“ und „nicht zulässigen“ Plebisziten abgerutscht sind, offenbar in der Angst vor der eigenen (Parkpickerl-)Courage. Von den übrigen „Oppositionellen“ ganz zu schweigen.

Nicht dass wir auf die Kreideschlucker hineinfallen würden. ÖVP und SPÖ hätten ja bis zu den Wahlen Zeit genug, ihre lauteren Absichten unter Beweis zu stellen und ein grundsätzliches Bekenntnis zu jener Bürgerbeteiligung gesetzlich festzulegen, zu der sich Österreich gemäß dem 2010 ratifizierten SUP-Protokoll der UNECE in Fragen der Umweltprüfung ausdrücklich verpflichtet hat („Jede Vertragspartei bemüht sich in angemessenem Umfang darum, Möglichkeiten für die Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit bei der Vorprüfung (Screening) von Plänen und Programmen nach diesem Artikel vorzusehen.“) Wundert es jemanden, wenn sich angesichts des inhaltlosen geschwurbels und der diesem folgenden Tatenlosigkeit das Vertrauen in Politiker endenwollend ist? Wundert es, dass ein von ehemaligen Angehörigen dieser Berufsgruppe initiiertes Volksbegehren auf ein nur schwaches Echo gestoßen ist?

Haben sich Volksbegehren überlebt?

Es heißt, Politik sei das Bohren harter Bretter.  Hinzuzufügen wäre: ...welche die politischen Entscheidungsträger vor ihren Köpfen einhertragen. Es ist daher durchaus berechtigt anzunehmen, dass vorauseilender Frust über die zu erwartende Schubladierung eines noch so erfolgreichen Volksbegehrens ein Motiv für die mangelnde Beteiligung gewesen ist. Eines, aber nicht das entscheidende. Auch die Patenschaft ehemaliger Politiker mag auf einige abschreckend gewirkt haben, sicher aber nicht auf Hunderttausende. Der Hauptgrund dürfte wohl in einem Teufelskreis gelegen haben: das Demokratievolksbegehren hatte nämlich unter genau jener Unzulänglichkeit zu leiden, die abzuschaffen es bezweckt hatte. Es ist eine traurige Tatsache, dass sich notabene im Zeitalter des Internet ein Dinosaurier wie das Volksbegehren österreichischen Zuschnitts rettungslos überlebt hat. Es mutet auch für den unvoreingenommenen Beobachter wie ein Relikt aus jener Zeit an, in der die Obrigkeit Gnadenakte gesetzt oder verweigert hat, wenn zum Beispiel die Teilnahme von im Ausland Befindlichen bei Wahlen heute selbstverständlich, bei Volksbegehren aber unmöglich ist, oder wenn man sich in ein etliche Kilometer entferntes Wahllokal begeben muss, während bei Wahlen das nächste Wahllokal fußläufig erreichbar ist. Ganz zu schweigen von der Informationsflut, der man bei Wahlen ausgesetzt ist, während Volksbegehren und die Möglichkeiten zur Unterschriftsleistung totgeschwiegen werden. Man kann einen demokratischen Akt so erschweren, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich gefrozzelt fühlen, wenn sie für nichts und wieder nichts einen nicht unbeträchtlichen Aufwand auf sich nehmen müssen.

Es spricht für die Kurzsichtigkeit unserer politischen Entscheidungsträger, wenn sie über sinkende Wahlbeteiligung klagen, aber alles dazu tun, dass bei demokratiepolitisch genau so wichtigen Plebisziten die Bürgerinnen und Bürger weggeschreckt werden. An dieser Grundeinstellung zur Bürgerbeteiligung krankt unser System.

Statt einer eher verwirrenden Vielfalt von Forderungen hätte eine einzige sicher Chancen auf mehr Erfolg gehabt: „Wenn dies von 10% der Wahlberechtigten eines Wahlbezirks verlang wird, kann die Abwahl eines gewählten Mandatars mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen jederzeit erfolgen.“ Jede Wette, dass dieses Begehren von weit mehr als 70.000 Wahlberechtigten unterschrieben worden wäre!

Mehr Demokratie und Aktion 21

Bleibt noch ein wesentlicher Gesichtspunkt für Aktion 21: das Volksbegehren ging an unserer Vorstellung von Bürgerbeteiligung ohnedies vorbei. Manches davon stellt zwar eine Verbesserung der demokratischen Verhältnisse dar, bedarf aber einer sehr eingehenden und langwierigen Diskussion, um entscheidungsreif zu werden. Wir glauben nicht, dass wir diese Zeit ungenutzt verstreichen lassen sollten. Unsere Vorstellung von Bürgerbeteiligung setzt nicht ganz oben, sondern ganz unten, im Grätzel oder im Dorf an. Dort können Politiker und Bürger lernen, miteinander demokratisch umzugehen und sich vom Obrigkeitsstaat zu verabschieden. Dazu bedarf es in erster Näherung keiner geänderten Entscheidungsgrundlagen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir auf dieser „unteren“ Ebene die frühzeitige, umfassende Information, den ehrlichen, rückhaltlosen und transparenten Umgang miteinander sowie die Bereitschaft, sich dem besseren Argument anderer anzuschließen, lernen könnten. Dann nämlich würden die vielen Vorbehalte, die Plebisziten derzeit entgegengebracht werden, in sich zusammenfallen. So gesehen waren die Forderungen des Volksbegehrens zwar berechtigt, aber im derzeitigen Moment einfach zu hoch gegriffen.

Helmut Hofmann

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