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Nichts gelernt?

Vom Umgang mit der Bürgermeinung

 

Die Bevölkerung von St. Andrä-Wördern hat mit (fast) 2/3-Mehrheit eine Schlafstadt beim Bahnhof abgelehnt. Die Beteiligung lag in den Hauptorten erheblich über 50% - ein starkes Zeichen politischer Reife.

Selbst die Gesamtbeteiligung von rund 44% ist für die Jahreszeit beachtlich. Vor allem, wenn man bedenkt, dass das Interesse der zahlreichen Zweitwohnsitz-Bewohner aus den weiter entfernt liegenden Dörfern im November endenwollend ist.

Prompt wurde das Ergebnis auf die absurdeste Weise in die Ablehnung eines neuen Ortszentrums umgedeutet. Voraus ging eine von Projektbefürwortern wie -gegnern geführte intensive Kampagne, die an unsachlichen, bewusst falschen Behauptungen nur so strotzte. Die unabhängige Bürgerplattform B4B hat versucht, auf der Homepage von Aktion 21 die wesentlichsten Punkte ins rechte Licht zu rücken. Ein besorgter Blick in die Zukunft zeigt, dass eine umfassende neutrale Information über die bisherige Entwicklung dringend geboten ist.

Sportplatzverlegung – ein alter Hut

Die Idee, den Fußballplatz aus dem Weichbild des Ortes zu verbannen, ist nicht neu. Sie stammt aus dem vorigen Jahrhundert und wurde zunächst von der FPÖ und erheblichen Teilen der Bevölkerung vehement abgelehnt. Mehrere Ersatzstandorte, die damals zur Diskussion standen, konzentrierten sich allmählich auf das Gebiet zwischen Internorm und Hundeabrichtplatz am Rand der Au entlang der Bahnstrecke. Allmählich konkretisierte sich der Absiedlungsplan zugunsten neuer Wohnbauten im Ortsentwicklungskonzept, das nach einem kläglich gescheiterten Versuch, in einem völlig unzulänglichen Bürgerbeteiligungsverfahren eine Art Legitimation des Vorhabens durch die Bevölkerung zu erwirken, ohne deren Mitwirkung „von oben“ festgeschrieben wurde. Der Fußballplatz scheint darin nur in der Au auf. An seiner Stelle weist die Flächenwidmung Wohnungsbebauung aus.

Neues Großprojekt 2017

Im Frühjahr 2017 wurde unter der neuen Gemeindeführung ein Projekt mit etwa 350 Wohnungen auf einem mit 40.000 m² weit über das Fußballfeld hinausgehenden Areal, begrenzt durch Hauptstraße, Franz-Josef-Gasse, Bahngasse, Dr.-Karl-Renner-Allee und Schlossgasse, entwickelt. Die Bevölkerung war aufgefordert, sich in mehreren „offenes Atelier“ genannten Beteiligungsveranstaltungen einzubringen. Anfangs wurden hauptsächlich Vorbehalte gegen die Zahl der geplanten Wohnungen vorgebracht und deren Reduktion auf ein vertretbares Maß gefordert. Die Einwände, 350 Wohnungen bedeuteten nicht nur einen schlagartigen Bevölkerungszuwachs von mehr als 10%, sondern auch eine entsprechende Belastung der Infrastruktur, insbesondere der Verkehrswege und des Kanalnetzes, wurden von den moderierenden Architekten zu entkräften versucht.

Wesentlich war für die zu erwartende Verkehrszunahme der Umstand, dass 350 zusätzliche Kraftfahrzeuge die beiden neuralgischen Ortsausfahrt-Schleusen Lehnergasse/Kreisverkehr sowie Einmündung Schlossgasse in die Greifensteiner Straße zusätzlich belasten würden.

Bevölkerung: Ortszentrum statt Schlafstadt!

Eine entscheidende Wendung nahm die Diskussion nach der aus der Bevölkerung kommenden Frage, ob die Bevölkerung die letzte Chance, in der Marktgemeinde ein identitätsstiftendes Ortszentrum zu schaffen, wahrnehmen oder für immer vergeben wolle. Die Ortszentrum-Idee stieß auf allgemeine Zustimmung. Die Moderation wusste mit ihr allerdings nicht viel anzufangen, weil sie nicht Gegenstand ihres Auftrags gewesen war. Es blieb den Bürgerinnen und Bürgern überlassen zu sagen, welche Vorstellung sie von einem solchen Ortszentrum haben.

Bürgerbeleidigung statt Bürgerbeteiligung

Im März 2018 wurde im Musikschulsaal etwa 200 Bewohnerinnen und Bewohnern das Ergebnis der bisherigen Diskussionen und der anschließenden Detailplanungen vorgestellt. Es war im Grunde genommen der ursprüngliche, verbal und zeichnerisch geschönte Entwurf, der über 300 Wohneinheiten samt ebenso vielen Parkmöglichkeiten nun als sogenanntes Ortszentrum darzustellen versuchte. Mit diesem „Rückfall“ auf das Ursprungskonzept, das von einer breiten Mehrheit abgelehnt worden war, konnten vor allem jene nicht überzeugt werden, die überhaupt keine Notwendigkeit für eine Absiedelung des Sportplatzes sehen. Es waren aber auch all jene nicht zu gewinnen, die ernste Bedenken gegen die Zahl der Wohnungen hatten und die übrigen, von der NÖ Raumordnung geforderten Einrichtungen und Aktivitäten für unzureichend hielten. Die Erbitterung vieler Menschen darüber, dass sie bei den offenen Ateliers nur hingehalten wurden und diese nur als Alibi für eine Art von Bürgerbeteiligung dienen sollte, war spürbar. 

Unsinniger Fragetext

Die Glaubwürdigkeit der Politik wurde zusätzlich erschüttert durch den Versuch der großen Oppositionspartei, die ablehnende Haltung vieler Bewohner durch eine Volksbefragung zum Ausdruck zu bringen. Dabei mutete die Fragestellung von einer Seite, die bislang das möglichst starke Bevölkerungswachstum gegen den mehr oder weniger starken Widerstand der anderen auf ihre Fahne geheftet hatte, ein wenig eigenartig an: „Wollen Sie am Wörderner Sportplatz bis zu 350 Wohnungen und bis zu 500 Parkplätze?“ Abgesehen davon, dass „am“ Sportplatz so viel wie „an dem“ und nicht „auf dem“ heißt, also eine Verbauung des Sportplatzes selbst völlig ausschließt und eine an drei seiner Ränder situierte geballte Wohnsiedlung erfordert,  also einen völligen Unsinn darstellt, bestünde bei der mit JA oder NEIN zu beantwortenden Frage auch dann keine Möglichkeit, den Bau von 350 Wohnungen (und keine einzige mehr) zu verhindern, wenn man tatsächlich nur eine einzige Wohnung (etwa für einen Platzmeister) am Sportplatzrand haben wollte und, um dies auszudrücken, mit JA zu stimmen hätte. (Stimmte man mit NEIN, spräche man sich ja auch gegen die eine Wohnung für den Platzmeister aus).

Es ist dem Eingeweihten schon klar, wie es gemeint gewesen war. Nur: als – glücklicherweise nicht bindendes - Befragungsergebnis gilt nach österreichischem Recht der Sinn, der der Beantwortung bei grammatikalischer Auslegung des Textes beizulegen ist, und der ist aus den obigen Gründen mehr als zweifelhaft. Eine Anfechtung wäre geradezu vorprogrammiert.

Wenn eine politische Kraft, die eingestandenermaßen nichts von Bürgerbeteiligung hält, plötzlich ein Herz dafür entdeckt, ist Vorsicht geboten. Es ist dem Gedanken der Partizipation nicht gedient, wenn ein Instrument der direkten Demokratie durch derartigen Dilettantismus zunichte gemacht wird. Aber wir müssen uns da keine Sorgen machen, die andere Seite kann es offenbar noch besser. Sie übernimmt nicht nur den Unsinn, sondern ergänzt ihn noch dazu durch einen weiteren.

Fragwürdige Änderungen

Volksbefragungen müssen durchgeführt werden, wenn dies von mindestens 10% der Stimmberechtigten verlangt wird. Statt nun eine Befragung, die mangels logischen Sinns wirkungslos verpuffen würde, zu ignorieren oder auf ihre inhaltliche Unsinnigkeit hinzuweisen, wurde sie durch Zusätze erweitert, die geeignet sind, die Abstimmenden in Irrtum zu führen. Der neutrale Begriff „Wohnungen“ wird durch „…Wohnungen für junge Familien aus St. Andrä-Wördern und betreubares Wohnen für ältere Gemeindebürger“ ergänzt, ohne klarzustellen, wer als „junge Familie aus St. Andrä-Wördern“ anzusehen ist und dass es sich bei betreubarem Wohnen lediglich um Seniorenresidenzen handle, die mit „Betreutem Wohnen“ leicht verwechselt werden können, sich aber davon wesentlich unterscheiden.

Vertauschte Rollen

Dabei machen sich ausgerechnet jene politischen Kräfte, die sich bislang stets gegen ein ungebremstes Wachstum und für die Beibehaltung des dörflichen Charakters gegen jene eingesetzt haben, die für ein rasches Wachstum und gegen Bürgerbeteiligung waren, nun für eine überdimensionierte Schlafstadt in Bahnhofsnähe stark. Obendrein bewerben sie dieses Vorhaben als neues Ortszentrum. Das hat wegen der erwähnten „Ergänzungen“ zu der Groteske geführt, dass die Initiatoren der Volksbefragung im Gemeinderat gegen diese gestimmt haben, während die Gegenseite für die Abhaltung gestimmt hat.

Desinformation, wohin man blickt

Mit allen Mitteln, insbesondere mit dem der falschen oder irreführenden Darstellung wird in den Tagen vor der Befragung versucht, die Bevölkerung zu beeinflussen. Die Glaubwürdigkeit der Politiker ist schwer beschädigt. Statt der vom Bürgermeister im März versprochenen Broschüre, in der das neue Ortszentrum vorgestellt werden sollte, kursierten Flugblätter, offene Briefe und Pressemeldungen, in denen es von Widersprüchen nur so wimmelte. 10 Tage vor dem Befragungstermin, am 9.11.2018 erschien auf der Homepage der Gemeinde still und leise ein mit 7.11.2018 datierter, 61 Seiten umfassender, mit zahlreichen Flüchtigkeitsfehlern behafteter „Masterplan-Entwurf“, der 320 (die Hälfte auch für Dienstleistungen nutzbare) Wohnungen samt Stellplätzen auf rund 86% des Areals enthält. Eine derartige Vorgangsweise stellt eine maßlose Brüskierung der interessierten Bevölkerung dar: wer hat neben Beruf und Alltagsverpflichtungen die Zeit, aufmerksam und kritisch 61 Seiten (samt den Beilagen, die im Masterplan zusätzlich erwähnt sind) in 9 Tagen durchzustudieren, die stellenweise an der gebotenen Klarheit zu wünschen übrig lassen?

Es musste so kommen

Es wundert nicht, dass die Befragung so ausgegangen ist, wie sie ausgegangen ist. Es wundert auch nicht, dass nach all dem, was abgelaufen ist, mit der Pressemeldung, die Bevölkerung habe „gegen das neue Ortszentrum entschieden“ dem ganzen Spuk noch die Krone aufgesetzt wurde.

Man kann das Ergebnis der Befragung vielmehr als „Strafe“ für die Abfälschung der ursprünglichen Fragestellung sehen. Da es um einen Fußballplatz geht, kann man auch in der Fußballersprache sagen: der Spielmacher hat einen am Tor vorbeigezielten „Gschlapften“, den eine hyperaktive Verteidigung, statt ihn ins Out rollen zu lassen, ins eigene Tor abgefälscht. Statt „Spielmacher“ kann man auch sagen „Mastermind“. Er hat jedenfalls gründlich gepatzt.

Was nun?

Wer zwischen den Zeilen lesen kann, ahnt, wie es weitergehen könnte, wenn er sich nicht als lernfähig erweist. Wenn der Gigel dem Gogel ein Projekt nicht gönnt, dann erinnern sich beide gerne an das alte Sprichwort: If you can’t beat them, join them“. In der Politik ist alles möglich, auch eine neue Achse. Solche „Achsenmächte“ sollten allerdings ihre Rechnung nicht ohne den Wirt, die Bevölkerung, zu machen versuchen.

Es ist schwierig, Menschen hinters Licht zu führen, sobald es ihnen aufgegangen ist. ((Alfred Polgar). Man könnte hinzufügen: Man muss die Bevölkerung ernst nehmen, bevor sie selbst ernst macht. Nachhaltigen politischen Erfolg hat im 21. Jahrhundert nicht, wer den Menschen die eigene Meinung aufzwingt, sondern wer sich deren Meinung aneignet.

Wir Bürgerinnen und Bürger werden wachsam sein und der Idee eines gemeinsamen Ortszentrums treu bleiben!

Bürger für Bürger St. Andrä-Wördern

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